#InitiativeWahlrecht – Junge Menschen werden zu wenig gehört

 

In Wien ist mehr als ein Drittel der über 16-jährigen Bevölkerung nicht wahlberechtigt. Teilweise leben diese Menschen seit vielen Jahren in der Stadt, arbeiten hier und sind Teil der Gesellschaft. Sie benutzen die gleichen Öffis, gehen in die gleichen Parks und Supermärkte, besuchen die gleichen Lokale. Politisch mitbestimmen dürfen sie aber nicht. "Viele sind in Österreich geboren, fühlen sich jedoch künstlich fremd gemacht. Ihnen wird dadurch auch die Identifikation als Wiener*in erschwert", sagt Manuela Smertnik, Geschäftsführerin des Vereins Wiener Jugendzentren. Mit der #InitiativeWahlrecht macht der Verein Wiener Jugendzentren auf diesen Missstand aufmerksam und stellt vor der Wiener Gemeinderatswahl die Frage: Warum nicht gleich?

Künstlich fremd gemacht

 

Um Aufmerksamkeit zu schaffen, wurde ein Mediengespräch mit dem Politikwissenschaftler Gerd Valchars und betroffenen Jugendlichen organisiert. Fünf Besucher*innen der Jugendzentren erzählen über ihre Erfahrungen mit politischer Ausgrenzung.

Witold (19), Besucher der Mobilen Jugendarbeit 19kmh: "Bei den Gemeinderatswahlen wird indirekt entschieden, wer Bürgermeister oder Bürgermeisterin von Wien wird. Da würde ich gerne mitreden und meine Stimme abgeben, immerhin lebe ich seit 15 Jahren hier."

Ahmad (20), Besucher des Jugendtreff Donaustadt: "Nicht wählen zu dürfen ist wie, wenn man als Kind auf den Spielplatz gegangen ist und statt selbst mitzuspielen, den anderen Kindern nur zuschauen durfte."

Daniel (19), Besucher im Jugendzentrum Marco Polo: "Ich bin hier geboren, bin hier zur Schule gegangen und arbeite mittlerweile bei einem Bauunternehmen. Ich leiste meinen Beitrag, wie alle anderen auch. Trotzdem habe ich nicht die gleichen Rechte, weil ich den österreichischen Pass nicht habe."

Monsef (20), Besucher des Jugendtreff Donaustadt: "In meinem Lehrberuf wurde ich zum Jugendvertrauensrat, in der Berufsschule zum Schulsprecher gewählt. Wer mich in meiner Heimatstadt vertritt, darf ich aber nicht mitbestimmen."

Yurdanur (17), Besucherin im Jugendtreff MIHO: "Demokratie ist anscheinend nur für die 'Bürger*innen' da und nicht für 'Ausländer*innen', aber eigentlich sind wir doch alle gleich, wieso dürfen wir dann nicht wählen?"

Ein Blick auf die Zahlen

 

Immer mehr Menschen in Wien sind vom Ausschluss aus der Demokratie betroffen. Um diesem Verfall der Legitimation entgegenzuwirken, hat der Verein Wiener Jugendzentren bereits 2015 die #InitiativeWahlrecht gestartet, bisher leider erfolglos. 2015 waren 24 Prozent der Wiener*innen über 16 Jahre nicht wahlberechtigt, heute sind es mehr als 35 Prozent.

Ein Beispiel: Bei der Gemeinderats- und Landtagswahl in Wien 2020 hat die SPÖ den ersten Platz erreicht. Wirklich den ersten Platz? Nein. Die größte Gruppe waren die 29,9 Prozent der über 16-jährigen Wiener*innen, die gar nicht abstimmen durften. Gefolgt von der Gruppe der Nicht-Wähler*innen, die zwar ein Wahlrecht haben, von diesem aber nicht Gebrauch machen (24,4 Prozent).

Staatsbürgerschaft

 

Der Grund für die vielen Nicht-Wahlberechtigten in Wien ist deren nicht vorhandene österreichische Staatsbürgerschaft. Im europäischen Vergleich ist es ausgesprochen schwierig, eine Staatsbürgerschaft in Österreich zu bekommen. Das erforderliche Mindesteinkommen von 1.273,99 Euro für Einzelpersonen abzüglich der Fixkosten stellt viele Staatsbürgerschafts-Anwärter*innen vor Probleme. Minderjährige Personen sind von den Einkommensverhältnissen ihrer Eltern abhängig.

Junge Menschen werden zu wenig gehört

 

Wien ist das jüngste Bundesland, somit ist die Kernzielgruppe des Vereins Wiener Jugendzentren besonders stark vom Umstand der demokratischen Ausgrenzung betroffen. Der Verein Wiener Jugendzentren fördert die politische Teilhabe dieser Gruppe mit dem Ziel, dass diese sich mit dem eigenen Lebensumfeld identifizieren kann. In der Offenen Jugendarbeit werden Jugendliche in Planungs- und Entscheidungsprozesse einbezogen und als gesellschaftlich relevante Gruppe anerkannt. Der Verein Wiener Jugendzentren setzt sich dafür ein, dass junge Menschen demokratiepolitisch teilhaben und sich als Teil der Stadt erleben, deren Meinung von Belang ist.

Ausgrenzung abschaffen


Um die stetig steigende Zahl der Nicht-Wahlberechtigten zu stoppen, braucht es eine Erleichterung beim Erlangen der Staatsbürgerschaft, allen voran für Personen, die hier geboren sind, und/oder eine Ausweitung des Wahlrechts für dauerhaft in Wien lebende Ausländer*innen auf kommunaler Ebene. Einer dieser beiden Wege sollte jedenfalls eingeschlagen werden, um den Anteil der Wahlberechtigten zu erhöhen, die Identifikation mit der österreichischen Gesellschaft zu stärken und ein dringend notwendiges Wir-Gefühl zu erzeugen.

Mehr zum Verein Wiener Jugendzentren und der Kampagne 

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